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29.09.99 - 2DJ's 4 Partys

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DJism in der Parallelwelt
von Donis

Was macht ein DJ? Eigentlich gibt es innerhalb dieses Kosmos drei verschiedene Möglichkeiten der Auflösung. In ersterem, modernistischstem Falle verfügt selbiger über ausgeprägte Mixing-Fähigkeiten, auf Grund dessen er in der Lage ist, einen selbstgesteuerten emotionalen Bogen an die Tanzenden zu vergeben. Wenn die Beat-Angleichung stimmt, was sie ja sollte, verwandeln sich zig Platten in einen markerschütternden Monumental-Track.
   Im zweiten, ebenfalls in die Zeit passenden Falle verfügt der Selecter über einen ausgeprägten, weltoffenen und doch feinziselierten Musikgeschmack und weiss, sich Atmosphären und Umständen anzupassen. Hier geht es nicht in erster Linie um die perfekten Übergänge, sondern um einen ganzen Eimer voll mentaler Knowledge. Soll heissen, selbiger wird die neue Pet Shop Boys-Single an einen älteren Sparks-Track koppeln, um wenig später via eines Kevin Saunderson-Remix ersterer zur spanischen Version von Inner Citys "Good Life" überzuleiten...
Die Wissenden im Club wissen dann zumindest, dass da noch einer weiss.
    Den dritten Fall kennen wir alle aus den Tanztempeln der Region. DJ bedeutet dann Dienstleister Jürgen, oder so ähnlich. Hier geht es in erster Linie um die Abarbeitung einer imaginären Liste, nach dem Motto "Haste ma' Eiffel Fümmseschzchsch...?" oder "De Onkelz sin' doch inn' Scharts, erweitor ma es Angebouut..." In Läden dieser Art kommt Fall 1 gar nicht hin, Fall 2 sollte Konsequenzen ziehen, welcher Art auch immer und Fall 3 ist ja sowieso dort zu Hause. Wo läuft der Hase aber, wenn innerhalb einer DJ-Tour die ersten beiden Fälle sowieso nicht gefragt sind und Fall 3 mangels Lust und Repertoire nicht in die Tat umzusetzen ist? Billy Gould und meine Wenigkeit wissen hierauf nach vier Tagen Tour auch keine Antwort.
 
In der Tat stellt sich akuter Erklärungsnotstand ein, wenn in Berlin (Darmwäsche) nach einer Stunde und bei geradem akustischen Verzehr von Helmet, gästeseits der Wunsch nach "endlich mal Gitarrenmugge" überbracht wird. Aber von vorn.
 
29.9. Ilse's Erika, Leipzig Zu Hause. Hier steht ja fast schon eine Liege für mich bereit. Da kann ja nix schiefgehen, oder? Was wähle ich für Platten aus? Hart soll es sein und rocken soll es! Also Napalm Death und Helmet ins Gepäck, Faith No More natürlich, weil es passt, Armand van Helden, OLD (kennt die noch wer?), Kurtis Mantronik, sowieso harten Electro, Skunk Anansie im Optical-Remix, Puff Daddy im Dave Grohl-Mix, Pothead, Scorn, a bisserl besseren Britpop und natürlich säckeweise Darkstep, weil das ist ja der Metal der End-90er... Mit Mixer und Platten-Cases stehe ich zeitig im Lieblings-Club. Billy isst noch Abendbrot und Eazy Kusche legt schon mal Easy Schlagerism auf. Was soll denn das heute Abend werden?
Dann kommt aber unser kumpelkultiger Produzent mit ehrlicher Freundschaft- lichkeit aber ohne Platten. Keine venezolanischen Scritti Politti, keine algerischen Public Enemy und auch keine guatemaltekischen Spice Girls. Billy hat einzigst drei CDs seines Labels in der Tasche. "You're kidding..." hoffte ich zögerlich. Aber nix kidding, meine Lieben. Also ab ans Pult und Düster-Electro von K bis Drexciya sprechen lassen, dann die rocking Beats eines CJ Bolland und mit Armand für erstes Kopfnicken sorgen. Billy durfte ich nicht alleine lassen, sonst hätte der nicht nur "Shadow" eher heruntergezogen. Kickender Drum'n'Bass machte dann sogar noch den Floor voll. Was will man mehr. Ich weiss schon, warum ich in dieser Stadt lebe. Eazy Kusche verschafft sich wieder Zutritt zum Wheels Of Steel-Terminal und mir ist auch schon alles egal...
    30.9. Hamburg, Headbangers Ballroom Billy und ich nehmen das Frühstück im Zugrestaurant, dessen Angebot ich entgegen vielerlei Meinungen, ziemlich lecker finde. Auf unseren Plätzen angekommen, lese ich in der SPEX Hans Nieswandts "DJs unterwegs-Bericht" vom neuen Hyper-Zug Metropolitan. Det passt ja wieder. Am Bahnhof werden wir von Motor-Labelisten in Empfang genommen. Diese schicken uns ins "Park Hyatt Hotel". Da stand ich nun in meinem Zimmer, äh Appartment, denn hier gab es mehrere Räume incl. Monster-Fernseher, Schwarz-Marmor-Betäfelung und Fernsehsessel mit Fußablage, elektronisch verstellbar, versteht sich. Das "Badewannen-Zimmer" war verglast. Dies stellte ich bei Zeiten mittels meiner schmerzenden Nase fest. Klar, dass hier auch Marilyn Manson und Trent Reznor unbedingt reinwollten. Eigentlich wollte ich nach einem Bad auch gar nicht mehr ausgehen. Doch Motor-Yvonne erzwang selbiges. Dabei fällt mir ein, dass das Label Billy ja noch Platten organisieren wollte. Eigentlich wäre es auch spannend gewesen, Billy zu erleben, wenn er die aktuelle Loona-Maxi auflegt (die war nämlich u.a. im mitgebrachten Beutel)...
Spannend war es im Club dann weniger. Der langhaarige Diskotheker war gelangweilt (vorher wie nachher), die anwesenden Metaller und Machine Head etc.-Jünger waren bei unseren zwei Stunden gelangweilt. Ihr hättet die Gesichter bei Atari Teenage Riots "Raverbashing" sehen sollen. Später wurde der Local-Diskotheker ganz aufgeregt, weil er wieder ran wollte. Ich wollte nur noch ganz schnell weg und zwar in meinen HH-Favourite, das "Pudels"... Dort gabs House und Red Bull-Wodka und das Leben hatte mich wieder und umgekehrt.
    1.10. Berlin, Darmwäsche Relaxte Zugfahrt in übervollem selbigen, aber wir hatten ja Reservierungen. Das Hotel kannte ich schon. Mit Steffen hatte ich dort ein Doppelzimmer, in welchem sich im dortbefindlichen Schrank ein lebender Vogel befand, welcher uns nach seiner Befreiung die Bettwäsche vollschiss. Diesesmal hatte ich das Zimmer von Anfang an für mich. Dann schön italienisch essen (ich hatte ein argentinisches Steak), Thriller mit Götz George auf Pro7 glotzen und ab ins Knaack. Dort war auch alles klar: Machine Head, Limp Bizkit, Machine Head, Marilyn Manson, Machine Head... Was beim von mir ausgewählten Helmet-Track passierte, erwähnte ich ja schon weiter oben. Dafür waren aber nette Leute around (Rajko, Sylvie, Funny und unsere massivste Berliner Fanbase) und Billy kam schon gut mit meiner CD-Tasche und ihrem Inhalt zurecht, sodass wir uns schon zum perfekten Team gemausert hatten.
Das wir in perfekter Teamwork die Tanzfläche binnen Minuten leerten, konnte uns da auch nicht mehr umwerfen. Billy taute richtig auf und holte gar Last Poets und geheime Demo-Aufnahmen von aktuellen Gould/Mosimann-Werken aus dem Hemdsärmel. Auch hier war wohl der DJ vom Haus eher erleichtert, als er endlich "Temple Of Love" von Sisters Of Mercy peitschen durfte. Die Tanzfläche war dann auch wieder voll und wir gingen in eine lauschige Kneipe.
    2.10. Köln, Live Music Hall Mittlerweile mag ich Köln wirklich sehr. Liquid Sky, Studio 672 (jeden Donnerstag Hans Nieswandt on the decks) und das wunderbar sympathische Cristall-Hotel am Ursulaplatz. Die Hotelbar ist ein kleiner Traum und Ivan, der brasilianische Barkeeper ein ganz Netter. Erstmal herzhaft mexikanisch essen und dann in den Großclub. Eigentlich machte die Atmo dort gar keinen so schlechten Eindruck. Jedenfalls zu Anfang. Da lief leise sogar solcher Stuff wie Readymade oder Miles. Aber dann ging es laut in gewohnter Weise zu Gange. Der Dienstleister dort war ein ganz aufgeregter. Mein Start mit Toenut, Helmet, Sleater-Kinney und PJ Harvey zauberte ihm schon erste Schweissperlen auf die Stern. Und dann noch Whale!
"Das is doch von `93, dass kannste doch nich bringen..."
OK dann electronic Rock. CJ Bolland, Prodigy (ok, spiele ich sonst eigentlich nicht mehr), Goldie...
 
"Ey, die Leute wolln Rock hörn!"
"Das ist Rock, Baby".
"Ich mach dann gleich mal weiter, jetzt ist die Prime Time. Ihr könnt ja später nochmal..."
  
Wir nehmen eine Auszeit im Backstage. Wir wollten ja eigentlich wenigstens einmal Sparks spielen. Nach einer Stunde sagte "Dienstleister Jürgen":
 
"Och ne, das kann ich jetzt nicht riskieren. Lasst mal jetzt. Vielleicht später..."
 
Billy fragte dann später, ob selbiger wenigstens noch einen Track seines neuen Projektes spiele. Fehlanzeige. "Jürgen" hörte vor und dann:
 
"Das is ne CD-R. Die läuft bei mir nich."
 
Auch das Flehen eines Faith No More-Fans auf das Droppen eines Songs der selbigen wurde von "Jürgen" kühl abgeblockt. Dann fick dich halt selber und ab ins Hotel und so. Letztes Bier äh Kölsch in Billies Zimmer. Sein Flug ging schließlich schon in vier Stunden. Ich blieb noch einen weiteren Tag in Köln für ein Radio "Eins Live"-Interview. Ein letzter Drink an der Cristall-Bar und das Frühstück am nächsten Tag noch mitgenommen. Billy und ich hatten lots of fun, die Gäste der Club-Tour eventuell weniger. Aber man kann es ja nicht jedem rechtmachen. DJ-Touren in Rock-Clubs sind vielleicht letztendlich doch nicht ganz so brauchbar. Erfahrungen rulen das Leben und ich gehe jetzt meiner Wege. Bis demnächst Sagt Donis